Frank Cottrell Boyce: Der unvergessene Mantel

(ISBN: 9783551555946, 2012, ab 10 Jahre)

Dschingis und sein Bruder Nergui kommen neu in Julies Klasse. Julie wird von den Brüdern als „gute Ratgeberin“ ausgewählt und bekommt die Aufgabe die beiden im Schulalltag zu unterstützen. Dschingis und sein Bruder sind aus der Mongolei und Julie fängt an alles über die Mongolei wissen zu wollen. Irgendwann merkt sie, dass die Bilder in ihrem Kopf mit dem Land, aus dem ihre Freunde kommen, wenig zu tun haben. Eines Tages werden die beiden Jungen mit ihrer Familie abgeholt und müssen zurück in die Mongolei. Ein Buch über Stereotype, Flucht und Abschiebung in Europa, aber auch über eine Freundschaft.

Quelle: Super Bücher Empfehlungsliste vom EPIZ Berlin (2015)


»Irgendwo bei uns in Bootle lag Xanadu verborgen wie ein Schatz.« Davon ist Julie überzeugt. Seit Dschingis und sein Bruder Nergui in ihre Klasse gekommen sind, will sie alles über die Mongolei wissen. Sie ist fasziniert von den Jungs in ihren dicken, langen Mänteln, die sie tragen, obwohl Hoch sommer ist, und von ihren Geschichten über einen Dämon, der sie verfolgt und Leute verschwinden lässt. Ihre Wohnung stellt sie sich als eine Welt aus Seide, großen Kissen, Pferdekopfgeigen und einem blubbernden Samowar vor.

Dschingis unterstützt ihre Fantasie mit Geschichten über das Jagen mit Adlern und geheimnisvolle Rituale. Seine Polaroids zeigen die weite mongolische Steppe und machen die Illusion perfekt. Julie freundet sich mit Dschingis und Nergui an. Sie wird ihr Ratgeber und macht sie mit den Vorlieben britischer Kinder vertraut. So lernt Nergui etwa Fußball zu spielen. Als Dschingis und Nergui eines Tages nicht mehr in der Schule auftauchen, will Julie die beiden suchen. Dabei bemerkt sie, dass Dschingis ihr die mongolische Oase nur vorgegaukelt hat. In Wirklichkeit sind die Fotos geschickte Collagen, auf­genommen zum Beispiel auf dem Schulhof. Sie sind Wunschvorstellungen und haben mit der traurigen Wahrheit nicht viel zu tun. Denn spätestens als Julie das Wohnhaus der Jungs betritt, wird die politische Brisanz des Romans deutlich. Dschingis und seine Familie leben illegal in Großbritannien. Der Dämon, der sie verfolgt, ist die Ausländerbehörde, welche eines Tages vor der Haustür steht und die Familie abholt. Dschingis und Nergui verschwinden tatsächlich.

Frank Boyce schafft es, die Themen Flucht, Illegalität und Abschiebung sensibel und eindringlich darzustellen – und trotzdem humorvoll zu schreiben. Besonders schön ist die Aufmachung des Buches: Der Text ist auf liniertem Papier geschrieben und erinnert an ein Tagebuch, was zu dem rückblickenden Erzählstil der Protagonistin passt. Dazu sind ausgeblichene Polaroids kunstvoll in die Geschichte eingebettet.

Quelle: VielSeitig – Lesenswerte Bücher. Ausgewählt im Jüdischen Museum Berlin (2013)